Über den Weltkulturerbe-Gipfeln der Dolomiten versinkt die Sonne und färbt die zum Teil bereits schneebedeckten Wipfel in strahlendes Rot, während die Umgebung schon im Dunkel versinkt. Die “Enrosadira”, das atemberaubende Lichtspektakel im Südtiroler Hochgebirge, ist die perfekte Kulisse für die imposanten, schwarz-glänzenden Wagyu-Rinder vom Oberweidacher Hof. Auf grüner Weide grasend, umgeben von Bäumen, deren Blätter in herbstlichen Goldtönen leuchten. Ein Idyll, von dem man seine Augen nicht mehr abwenden mag. Atem steigt aus den Nüstern der seltenen Tiere, liebevoll knabbern sie sich gegenseitig ihre Rücken, ab und zu ein buckelnder Freudensprung. Hier in der Region Ritten, dem Hochplateau über Bozen, treffen wir den Jungunternehmer Stefan Rottensteiner. Er züchtet seit neun Jahren japanische Wagyu-Rinder.
Wagyu bedeutet übersetzt japanisches Rind. Das Besondere an dieser Rasse ist, dass sie deutlich mehr Fett zwischen den Muskelfasern einlagern als andere Artgenossen. Das macht ihr Fleisch zu einer beliebten Delikatesse weltweit. Gutes Futter, viel Zeit und Zuwendung bei der Aufzucht sind die Grundlage für das schmackhafte Wagyufleisch, erfahren wir von Stefan Rottensteiner. Er wuchs auf dem Oberweidacher Hof, einem Südtiroler Bauernhof, auf, der Milchvieh in Anbindehaltung hielt. So, wie es bis dahin üblich war. Die Tiere mussten eine gewisse Leistung bringen, was auf Kosten der artgerechten Haltung ging. Das bewegte Rottensteiner dazu, selbst eine natürlichere Art Landwirtschaft anzugehen. Eine, bei der man den Tieren ansieht, dass es ihnen gut geht. Seine circa 100 Tiere leben fast wild auf den Almen und sogar den Winter verbringen sie auf der Weide – dann aber mit Unterstand und Zufütterung.
Oft hört man ja, dass das Fleisch der Rinder deswegen so gut sei, weil sie klassische Musik hören und mit Massagen verwöhnt werden. Auch das habe er schon probiert, aber es hatte keinen Einfluss auf den Geschmack des Fleisches, sagt der Wagyu-Züchter. Der große Unterschied an sich sei die Rasse. Sie hat ein anderes genetisches Potenzial. So setzen sie viel mehr Fett im Fleisch an, die begehrte Marmorierung. Aber es ist nicht nur die Menge an Fett, sondern auch die Qualität des Fettes. Das ist auch ernährungswissenschaftlich sehr interessant. Der hohe Anteil an Omega 3-Fettsäuren, mehr sogar als im Lachs, machen das marmorierte Wagyufleisch zu einem wertvollen Lebensmittel.
Wagyu aus Südtirol – Knowhow aus Japan
An Wagyufleisch schmecke man heraus, was das Tier gegessen habe, sagt Rottensteiner. Weil Fett ein Geschmacksträger ist und sich die Aromen aus dem Futter dort ablagern. Wenn man das Rind also richtig füttert, kann man sehr geschmacksintensives Fleisch herstellen. Um noch mehr darüber zu erfahren, nimmt der Landwirt mit einigen seiner Tiere derzeit an einer Forschungsreihe einer deutschen Universität teil. Eine Gruppe seiner Rinder wird nur mit Gras gefüttert, die andere mit frischen Kräutern, Getreide und Oliventrester – gerade letzteres beeinflusse die Fettqualität extrem positiv. Das Olive Feed hat Rottensteiner sich in Japan abgeschaut. Er selbst hatte einen Mitarbeiter aus Japan, der ihm gute Kontakte vermittelte, so dass er sich im vergangenen Jahr verschiedene Betriebe vor Ort anschauen konnte. “Die Japaner haben da schon eine besondere Kultur”, erzählt er. Dort habe er dann auch die Philosophie verstanden, warum sie so extrem marmoriertes Fleisch wollen: “Die Japaner haben eine ganz andere Esskultur: Wagyu in kleinen Mengen, komplett roh und in Soja eingelegt. Ihnen geht es darum, den Schmelz im Mund zu erleben. Nicht wie bei uns, wo das Fleisch gegrillt wird und man den Fleischgeschmack schmecken will.” Daher ist in Japan die Sorte Kobe so beliebt. Nur Tiere, die in dieser Stadt geboren, aufgezogen und geschlachtet werden, dürfen diese Bezeichnung tragen. Das ist das bekannteste Fleisch, aber für Rottensteiner nicht das beste: “Kobe hat eine extreme Marmorierung, was den meisten Europäern zu fettig ist, es schmeckt gar nicht mehr nach Fleisch, sondern eher nach einem Stück Butter.”
Die Regierung Japans erkannte den Wert ihrer einzigartigen Produkte und erklärte die Wagyu-Rinder zum nationalen Schatz. Seitdem ist der Export von Rindern, aber eben auch der Wagyu-Genetik verboten. Dass es hierzulande Zuchten gibt, fußt auf wenigen Exporten von Rindern in den 1990 Jahren. Seither wird selektiert, welche Linien gutes Fleisch bringen und nur diese werden weiter gezüchtet. Bis sie acht Monate alt sind leben die Kälbchen hier mit ihren Müttern halb wild auf den Almen des Hochplateaus Ritten. Dann werden sie abgesetzt und grasen mit Gleichaltrigen bis sie zwei Jahre alt sind auf den umliegenden Weiden. Das letzte Jahr in ihrer Endmastphase leben sie in einem Freilaufstall und werden mit Oliventrester und Biertreber gefüttert.
Rottensteiners Tiere leben mindestens drei Jahre, da sich die gewünschte Marmorierung erst in diesem Alter ausprägt, es werden also keine Kälber geschlachtet. Qualität und natürliche Haltung ist ihm das wichtigste. Da Wagyufleisch sehr begehrt ist und er es hochpreisig vermarkten kann, muss er nicht wie andere Landwirte Konkurrenzpreise unterbieten und kann sich und seinen Tieren den Luxus der natürlichen Haltung gönnen. Ein weiterer Vorteil ist der kleine Schlachthof gleich um die Ecke. Nervenaufreibende, lange Tiertransporte bleiben seinen Rindern also erspart. Außerdem liebt das Wagyu aus Südtirol die Fahrt mit dem Anhänger, denn normalerweise bedeutet das, sie ziehen um auf eine neue saftige Weide. Für Rottensteiner ist das der größte Luxus, dass er weiß, dass sein Fleisch von glücklichen Kühen kommt. Dann gönnt er sich auch gerne ein Tatar oder einfach ein angebratenes Wagyu-Steak mit ein wenig Salz drüber. “Fertig. Mehr braucht das aromatische Fleisch gar nicht.”
Die Nachfrage steigt stetig
Neben dem Verkauf von Wagyu aus Südtirol in seinem Online-Shop, geht ein Großteil in die Gastronomie. Vom Sternekoch bis hin zum hippen Burger-Laden greifen zahlreiche Gastronomen zum Wagyufleisch, um ihren Kunden ein exklusives Geschmackserlebnis zu bieten. Derzeit lässt der Jungunternehmer dafür 30-40 Rinder im Jahr schlachten. Doch die Nachfrage steigt stetig, schließlich stammt das Fleisch, dass man hierzulande kauft, zumeist aus Japan oder Australien. Deswegen hat er vor drei Jahren mit Gesellschaftern die Firma Marblelution gegründet und baut darüber neue Zuchtbetriebe in Deutschland auf, um die große Nachfrage mit regional erzeugtem Wagyufleisch bedienen zu können.
Aber es geht dem Unternehmer nicht nur ums Geschäft. Während die Sonne langsam hinter uns versinkt, telefoniert Rottensteiner noch schnell mit einem anderen Landwirt. Es geht um seinen Liebling, einen 1000 kg schweren Stier. Furchterregend sieht dieser aus, aber Rottensteiner kann auf seinem Rücken sitzen und der Koloss genießt die damit einhergehenden Streicheleinheiten sichtlich. “Den könnte ich niemals schlachten”, sagt Stefan Rottensteiner. Weil er aber sein Soll auf dem Oberweidacher Hof erfüllt hat, darf der imposante Zuchtbulle nun auf die Weiden eines anderen Bauern umziehen, um dort andere Wagyu-Mädels glücklich zu machen.
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Bilder: Derk Hoberg, Stefan Rottensteiner