Mike Horn, Extremabenteurer und Mercedes-Benz Markenbotschafter im Interview. Der Sportler sieht das Social Distancing wegen der Corona-Krise auch als Chance, das eigene Leben zu überdenken und sich persönlich weiterzuentwickeln.
Die COVID-19-Pandemie hat die Welt fest im Griff. In vielen Ländern gelten besondere Hygiene-Verordnungen wegen Corona, Ausgangssperren, Mundschutz-Pflicht oder strenge Kontaktverbote. Wie geht man mit der plötzlich verordneten sozialen Isolation um? Ist der fehlende Kontakt zu Freunden und Bekannten nur belastend? Oder kann Social Distancing unser Leben sogar bereichern?
Mike Horn ist von Letzterem überzeugt. Der langjährige Markenbotschafter für Mercedes-Benz und Laureus Sport for Good gehört zu den derzeit größten modernen Abenteurern und Entdeckern. Auch als Redner und Coach hat er sich längst einen Namen gemacht. Schon seit 1997 zeigt der Extremabenteurer Höchstleistungen in puncto Ausdauer, Entschlossenheit und Mut. Bei seinen ambitionierten Expeditionen hat der in Südafrika geborene Schweizer die Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit immer wieder voll ausgereizt. Beispiel „Pole2Pole“: Bei dieser Expedition hat Mike Horn in drei Jahren die Welt vom Süd- zum Nordpol umrundet – inklusive Ozeanüberquerungen und Überlandexpeditionen. Beispiel „Drive to K2“: Diese Expedition wurde mit der G-Klasse unternommen. Gemeinsam mit seinem Team durchquerte Mike Horn dabei insgesamt 13 Länder, von der Schweiz bis nach Pakistan, und legte innerhalb von 15 Tagen mehr als 10.500 Kilometer zurück. Nur, um dann die letzte Etappe in Angriff zu nehmen: die Besteigung des K2. Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Extremabenteurers ist das Projekt „Amazon“. Dabei durchquerte Mike Horn Südamerika in sechs Monaten, zu Fuß und auf dem Wasser mit einem Hydrospeed. Das jüngste Abenteuer des Schweizers ist erst rund drei Monate her: Im Januar 2020 bewältigte er erstmals – nur wenige Wochen nach seiner Rückkehr von einer Arktis-Expedition – einen Teil der Rallye Dakar als Navigator des französischen Enduro- und Rallye-Fahrers Cyril Despres.
Ob Südamerika oder Arktis – bei vielen Expeditionen war Mike Horn monatelang ganz auf sich allein gestellt, ohne Begleitung und ohne technische Hilfsmittel. Doch die Einsamkeit hat ihn nicht zermürbt. Ganz im Gegenteil – er empfindet das Alleinsein als Bereicherung, Inspirationsquelle und Chance. Warum das so ist und wie man auch als Nicht-Abenteurer gut durch die Zeit der sozialen Isolation kommt, verrät Mike Horn im Interview.
Mike, die COVID-19-Pandemie zwingt Menschen weltweit in die soziale Isolation. Viele haben Angst vor dem Alleinsein. Was sagst Du diesen Menschen? Welche Erfahrungen hast Du während Deiner Solo-Expeditionen mit Social Distancing gemacht?
Natürlich ist diese Krise für die Menschen sehr beunruhigend. Immerhin sind wir gezwungen, von jetzt auf gleich aus der Hektik unseres schnelllebigen Alltags auszusteigen. In unserer eng vernetzten, dynamischen Welt ist das nicht so einfach. Man kann aber auch positiv auf Social Distancing schauen, weil wir dadurch Zeit für uns selbst gewinnen. Zeit, die wir intensiv nutzen können. Für mich selbst hatte soziale Isolation immer etwas Bereicherndes. Denn die Zeit des Alleinseins gab mir die Chance, mich völlig auf mich selbst zu konzentrieren und persönliche Antworten auf viele Fragen zu finden, die mich bewegen. Heute weiß ich, dass man seine Ziele und Träume am besten verwirklichen kann, wenn man allein ist, ohne jede Ablenkung.
Dann ist Social Distancing für Dich also eher Chance als Bedrohung!
Ja. Ich denke, dass man sich vor sozialer Isolation nicht fürchten muss, wenn man weiß, welche Möglichkeiten sie mit sich bringt. Man muss das gegenwärtige Social Distancing wegen der COVID-19-Pandemie ja nicht als unfreiwillige Auszeit betrachten. Stattdessen kann man die Zeit bewusst nutzen, um sich neue Ziele zu setzen, kreativ zu werden, das eigene Leben zu überdenken und sich persönlich weiterzuentwickeln. Vielleicht kann das der erste Schritt sein, das eigene Lebensmodell zu hinterfragen und neue Träume zu verwirklichen.
Welche Tipps hast Du für das Leben in sozialer Isolation? Was rätst Du den Betroffenen?
Mein Ratschlag an alle Menschen in sozialer Isolation: Werdet kreativ, genießt das Alleinsein und tut Dinge, die ihr noch nie zuvor getan habt. Wir haben jetzt die Zeit und damit die Freiheit dafür. Nun liegt es an uns selbst, kreativ mit dieser Zeit umzugehen. Bleibt positiv, bleibt motiviert, lebt im Hier und Jetzt, nicht nur für die Zukunft und nicht nur in der Vergangenheit. Lebt den Moment und denkt immer daran, wie viele wundervolle Momente noch vor uns liegen.
Viele Eltern machen derzeit Homeoffice und müssen dabei noch ihre Kinder betreuen, denn Kitas und Schulen sind dicht. Das ist eine große Belastung. Wie siehst Du das und wie gehst Du allgemein mit extremen Herausforderungen um?
Für die Betroffenen ist das tatsächlich eine große Herausforderung. Es ist nicht einfach, den Job optimal zu erledigen und sich gleichzeitig geduldig um die Kinder zu kümmern. Am besten sollte man diese neue Situation so entspannt wie möglich angehen. Die Menschen sollten sich selbst nicht so unter Druck setzen. Sie sollten lieber versuchen, die neue Situation als Herausforderung zu sehen, die zu einem positiven Wandel führen kann. Schließlich sind Herausforderungen an und für sich ja nicht schlecht. Im Gegenteil, sie können uns stark machen und uns dazu bringen, mit neuen und kreativen Lösungsansätzen zu arbeiten. Als ich zum Beispiel das Nordpolarmeer überquerte, musste ich mich vielen Unsicherheiten in Bezug auf das Wetter und die raue See stellen. Ich habe diese Unsicherheit geliebt, denn sie hat mich dazu angespornt, jeden Tag neue, kreative Lösungen zu finden.
Ist Deine aktuelle Isolation zu Hause in der Schweiz anders als das, was Du bei Deinen Expeditionen erlebt hast?
Ich bin derzeit in Château-d’Œx in der Schweiz. Für einen Entdecker wie mich ist das ein idealer Ort, um isoliert zu sein. Mein Haus steht allein und ist von Feldern und Wäldern umgeben – die perfekte Umgebung, um für meine kommenden Abenteuer zu trainieren. Eigentlich fühlt sich das kaum anders an als bei meinen Expeditionen. Obwohl hier in den Alpen, ehrlich gesagt, das Wetter besser ist als in der Arktis.
Wie wird sich Deiner Meinung nach die Gesellschaft auf lange Sicht (oder auch nur kurzfristig) durch diese Krise verändern?
Wir können nicht völlig sicher sein, dass sich die Gesellschaft überhaupt verändern wird. Vielleicht kehren wir alle einfach in unser übliches Leben zurück, wenn die Pandemie vorbei ist?
Das wäre schade, und ich hoffe sehr, dass einige von uns die positiven Aspekte dieser Ausnahmeerfahrung in ihr tägliches Leben integrieren. Dazu gehört für mich die Entschleunigung unseres Alltags. Wir sollten uns weiterhin bewusst Zeit für uns selbst und unsere Familien nehmen, neue Ideen verfolgen, kreativ sein und immer wieder neu bewerten, was wir brauchen und was nicht. Vielleicht gelingt es uns außerdem, auf übermäßigen Konsum zu verzichten und auch nach der Krise Solidarität auf lokaler und internationaler Ebene zu zeigen.
Was heißt das übertragen auf die Herausforderungen für die Familien zu Hause?
Ich will die Menschen in dieser Situation ermutigen, denn ich glaube, dass jeder in der Lage ist, kreativ zu sein, neue Lösungen zu finden und das Leben in der Gemeinschaft gut und neu zu gestalten. Nehmt bisher unbekannte tägliche Herausforderungen als persönliche Herausforderungen an. Versucht, gemeinsam gute Lösungen für alle Beteiligten zu finden. Ich weiß, dass es nicht immer möglich ist, motiviert zu bleiben. Mit Disziplin kann man aber die meisten Probleme des täglichen Lebens überwinden.
Mike, vielen Dank für Deine Zeit.
Bilder: © Daimler AG
Mehr Interviews:
Heiner Lauterbach: Immer neugierig
Natascha Ochsenknecht: Neue Brillenkollektion