Pierre Cardin wird 97 Jahre alt. Ein Portrait des Modeschöpfers, der mit seiner futuristischen Mode die Zukunft immer im Blick hat, nebenher Schlossherr, Kunstmäzen und Unternehmer ist und ein wahres Imperium erschaffen hat.
Bescheidenheit gehört nicht zu den Tugenden, die Pierre Cardin verinnerlicht hat. Gegenüber dem Wochenmagazin „Stern“ sagte er einmal im Interview: „Ich bin einer der reichsten Männer Frankreichs. Ich kann mir alles leisten.“ Cardin ist so reich, dass er sogar plante, einen 240 Meter hohen Turm in Venedig zu bauen – alleine der Proteststurm der Bevölkerung brachte ihn davon ab. Vielleicht wollte er damit zu seinen Wurzeln zurückkehren. Am 2. Juli 1922 wurde er als Pietro Cardini in San Biagio di Callalta in der Nähe von Venedig geboren. Er war das jüngste von sieben Kindern. Seine Eltern, der Vater ist Winzer, ziehen schon bald nach Frankreich, weswegen aus Pietro Pierre und aus Cardini Cardin wird.
Als Jugendlicher absolvierte er eine Lehre bei einem Herrenschneider in St. Etienne, womit er seiner fixen Idee, nach Paris zu wollen, ein Stück näher kommt. Nachdem die französische Hauptstadt im Herbst 1944 von der deutschen Besatzung befreit ist, erfüllt er sich seinen Traum. 1946 entwirft er seine ersten Kleider für Jean Cocteaus Kinoklassiker „Die Schöne und das Biest“. Später wird er Mitarbeiter bei Christian Dior.
New Look und Prêt-à-porter von Pierre Cardin
Für das Label Christian Dior erfindet er den New Look: Kleider mit enger Taille, schmalen Schultern und einem weiten, wadenlangen Rock. Doch dieser Erfolg unter fremder Flagge genügt ihm nicht. 1950 gründet er sein eigenes Haute-Couture-Label. Als erster Schneider bringt er qualitativ hochwertige Kleidung zu erschwinglichen Preisen heraus – ein Aufschrei geht durch die Modewelt, das Prêt-à-porter ist geboren. Als er schließlich auch noch Mode entwirft, die in Kaufhäusern angeboten wird, wird er vorübergehend sogar aus der Pariser Schneiderinnung geworfen.
Den Avantgardisten kann das nicht stoppen. Er lässt sich bei seinem Schaffen auch vom aktuellen Zeitgeschehen inspirieren. Als die Russen Satelliten und Juri Gargarin ins All schießen und amerikanische Astronauen den Mond erreichen, erfindet Cardin den Sputnik-Style. Science-Fiction-Kleidung aus synthetischen Fasern, Vinyl und anderen spacig anmutenden Materialien.
1978 erobert Cardin gar die kommunistische Volksrepublik China. Für Stewardessen, Soldaten und Polizisten schneidert er Dienstkleidung. Sein Mao-Look, mit Hemden ohne Kragen, geht um die Welt. Auch die Beatles tragen seine Mode. Generell prägen die 60er und 70er Jahre seinen Stil, was selbst in seinen aktuellen Kollektionen noch sichtbar wird.
Mode, Restaurants, Schlösser – ein ganzes Imperium
Mit der Mischung aus Luxus- und Discountware hat sich Pierre Cardin mit 1.000 Fabriken in 100 Ländern bereits mit 60 Jahren ein Imperium aufgebaut. Sein Vermögen wird inzwischen vage auf mehrere Milliarden Euro geschätzt. Doch nicht nur mit Mode allein hat er sich dieses erarbeitet. Mit dem legendären Luxusrestaurant Maxim’s in Paris, kauft er 1981 ein weiteres Erfolgsmodell. Filialen in Peking, Moskau sowie New York folgen. 2001 wird er zudem Schlossbesitzer, da er das Schloss des Marquise de Sade in Lacoste erwirbt. Damit macht er sich allerdings keine Freunde, will er den Ort doch zu einer Pilgerstätte für Kulturinteressierte umwandeln, wofür er 20 Millionen Euro investiert. Die genervten Einwohner protestieren auch hier.
Pierre Cardin trägt zahlreiche Titel und erhielt eine Menge Preise, darunter auch solch kuriose wie die „Goldene Seidenschleife 1994“ der Stadt Krefeld. Weitaus bedeutender dürfte da schon der französische Titel „Kommandeur der Ehrenlegion“ sein, den er ebenfalls trägt. Zudem ist er Frankreichs einziger Modeschöpfer, der der hochangesehenen Akademie der Schönen Künste angehört.
“Ich bin der älteste aller Couturiers” sagt Pierre Cardin, heute 97. Er gehe nicht mehr täglich in die Ateliers über der Pierre Cardin-Boutique gegenüber dem Elysée-Palast. Doch zeichnen, das tue er “immer, immer, immer”. Und erstmals gesteht er ein, dass er seine Nachfolge vorbereite und das futuristische Design seiner Kollektionen drei Designern aus seinen Ateliers anvertrauen will.